Unser Gewinner des Wettbewerbs (KW 08|2020): Mein Ehrenamt. Mein Moment.
Unser Wochengewinner des Wettbewerbs (KW 08|2021):
die "Flüchtlingsarbeit Evelyne Thiel (MeetingPoint 1.8 Weilmünster)"
Wir gratulieren zu 500 Euro!
Meine ehrenamtliche Tätigkeit!
Seit Beginn der Flüchtlingszuwanderung in unserer kleinen Gemeinde Weilmünster stehe ich von früh bis spät - meist montags bis sonntags - für alle Fragen, Probleme und Sorgen zur Verfügung. Die Flüchtlinge, die Sozialarbeiter, die Flüchtlingshelfer, die Lehrer, Ärzte und Behörden sind seither meine täglichen Gesprächspartner. Persönlich, per E-Mail oder per Telefon.
Was mich bewegt!
Es gibt nicht einen Moment - alle Erlebnisse als Flüchtlingshelfer hier sind sehr bewegend, traurig, lustig, machen froh und stolz. Ich konnte schon viel helfen. Leider aber musste ich mich auch das eine oder andere Mal den Behörden, der Gesetzgebung oder aber dem fehlenden Verständnis der Neubürger geschlagen geben. Aber: ICH MACHE WEITER!!! Einige meiner Schützlinge gehen zur Schule, machen Abitur, machen eine Ausbildung, lernen Deutsch, fahren Auto, mieten ihre erste eigene Wohnung, haben eine Arbeitsstelle, mit der sie Frau und Kinder ernähren können. Sie müssen nicht mehr vom Amt leben. Sie sind glücklich und fühlen sich angekommen.
Ich möchte gerne von meinem Alltag als Flüchtlingshelfer berichten:
Oh, 7.00 Uhr, aufstehen.
Um 9.00 Uhr Gespräch mit dem Bürgermeister.
8.00 klingelt das Telefon: "Hallo... Kannst Du kommen? Ich habe bluten, mein Bauch schmerzt. ..."
Eine junge Frau, im 4. Monat schwanger, ist am Telefon.
Alle Daten im Kopf verteilt...und den Notarzt und den Krankenwagen bestellt!!
Schnell den letzten Schluck Kaffee dann ab ins Auto!
7 Minuten Autofahrt, heute ein bisschen schneller. Ich öffne die Haustür der Gemeinschaftsunterkunft.
"Hallo, .......bitte komm, ich habe eine Post!"
"Sorry, ich muss erst zu ..." die nächste Tür öffnet sich auf dem Weg nach oben ins Haus. "Hallo bitte, wann ist mein Termin?"
"Sorry, ich muss erst mal zu ..."
"Hallo, Du kommst wieder zurück, heute?"
Angekommen, diesmal stehe ich nicht 5 Minuten vor der Tür, wie sonst. "Bitte komm rein, ich habe ein Problem, bitte guck!"
Schnell alles erklärt. Waschen, anziehen, Tasche packen, den Mann anrufen, der bringt gerade den Sohn zur Kita, dann kommt auch schon die Ambulanz und der Mann im Schnellschritt um die Ecke. Blutdruck ziemlich unten.
Nach Absprache mit dem Arzt, ist AOK-Karte da? Mutterpass und welches Geburtsdatum, in welches Krankenhaus, welche Vorgeschichte und ob bitte der Mann mitfahren darf, geht's los.
Mein Termin um 9.00! Könnte gerade noch klappen.
Oh, ich sollte ja noch jemand mitnehmen. Also, nochmal zurück nach Hause.
Vor dem Rathaus auf dem Weg zum Bürgermeister, hält mich ein Beamter an, bitte kommen sie nachher zu mir, es ist wichtig. Das Gespräch verläuft gut, aber eine Bitte noch, können sie dieses Schreiben beantworten und kurzfristig wieder reingeben? Lassen sie sich bei meiner Sekretärin einen Termin geben. Oh, würden sie bitte auch noch zu Herrn...... gehen, es ist wichtig. Ja, das war es!
Ein Schützling hat Schwimmbadverbot.
Er soll ein Mädchen belästigt haben. Nun folgen Telefonate. Sozialamt, Besuch bei der Badeaufsicht, Besuch bei dem Jungen. Was ist passiert?
Er sagt: "Ich bin getaucht, dann als ich keine Luft mehr hatte und hochkam, war dieses Mädchen vor mir!"
Das Mädchen sagt: "Er hat mich angefasst!"
Die Badeaufsicht sagt: "Die (Flüchtlinge) toben immer und ärgern auch die Kinder auf der Rutsche!"
Die Polizei nimmt die Personalien des Jungen auf.
Befragt das Mädchen.
Der Junge wird nicht gefragt, kann sich allerdings auch nur gebrochen äußern.
"Oh, Frau........ können Sie mal gucken, ich habe eine Post!"
Ein Storno bei der Bank, obwohl ausreichend Geld drauf ist.
Komm, wir fahren schnell hin und klären das vor Ort.
Telefon: "ich habe einen alten Wohnzimmerschrank! Die Flüchtlinge können das doch bestimmt gebrauchen" ja, vielleicht, aber wo lagern? Ich schaue ihn mir an, ich rufe zurück." "Ja, ich muss das aber in 8 Tagen hier alles draußen haben, solange kann ich nicht warten."
Aufgelegt, muss mich beeilen, muss noch nach Wetzlar zum Standesamt, ein Baby anmelden.
5 Min. vor 12 da. "Nein, jetzt können Sie nicht mehr dran kommen, dann müssen Sie Morgen wieder kommen. Oh, nein, bitte nur kurz wenigstens nach den Papieren schauen. "Nein, das geht gar nicht! Ohne Pässe und Heiratsurkunde kann ich das nicht machen!" "Aber ich habe doch eine Heiratsurkunde", sagt der Mann und zeigt einen Zettel, voll mit arabischer Schrift, in vier Kästchen geteilt, ohne Stempel. Das Papier kann ich nicht anerkennen, es muss ein Dokument sein, mit Siegel. "Wir haben in einem kleinen Dorf gewohnt, weit weg von der Stadt und so wird es bei uns aufgeschrieben, bei Heirat." "Aber wir können das nicht anerkennen!"
Also, nochmal hin-Pässe liegen in Bonn bei der Botschaft.
Also, einen anderen Weg finden, das Baby anzumelden.
(Ansonsten gibt es kein Geld und keine Krankenversicherung für das Kind)
Nun schnell zurück!
"Bitte lesen, ich verstehe den Brief nicht, was soll ich machen?"
Sorry, ich komme später wieder, "wann kommen Sie denn?" Schulterzucken... ich weiß nicht..., wenn ich es schaffe!
Telefon: "ja, hier ist der Jagdpächter, hallo, Frau... Wir müssen dringend sprechen! Es sind Flüchtlinge im Wald gesehen worden. Können wir mal einen Termin machen und überlegen, wie wir es Ihnen sagen, dass das Gefahren birgt und die Jäger beim Abschuss von Wild gestört werden!?"
Telefon: "Hallo, was sollen wir machen, das Baby, das Herz geht nicht mehr, es muss geholt werden. Sie fragen, willst Du eine Kontrolle von Blut und Baby, damit Du weißt warum! Was sollen wir sagen? Kannst Du helfen?"
Ich erkläre alles, so gut es geht, in ihrem Sprachverständnis!
Gut das ich Krankenschwester war. Es hilft mir so viel, den Leuten alle Gesundheitsfragen auf einfache Art zu erklären.
Ich fahre nach Limburg, warten und dann mit der Ärztin sprechen. Eine Streicheleinheit von Frau zu Frau und ab geht es in den OP.
Nun den Mann beruhigen.
Wieder nach Weilmünster, in ein anderes Haus. "Hallo, hier ich habe einen Brief."
Oh, Handyverträge: Zahlungen im Mahnverfahren!
Das muss ich in Ruhe zu Hause machen, heute Abend ein Schreiben aufsetzen. Noch Farbe zum zukünftigen "Treffpunkt" bringen. Auf dem Rückweg nach Hause der Anruf aus dem Krankenhaus, wir können nach Hause, kannst Du kommen?
Schnell einen Rundruf gestartet: "Bitte kann jemand nach Limburg fahren?"
Es ist 20 nach 6 Uhr.
Einmal noch beim Sozialamt anrufen und berichten was vorgefallen ist.
Oh, noch gar nichts gegessen!
- aber erst E-Mails checken -, dann das Schreiben fertig machen.
Ein ganz NORMALER Tag eines ehrenamtlichen FLÜCHTLINGSHELFERS.
Warum wir/ich ein kleines Dankeschön verdiene(n)!
Ich schreibe dies hier im Namen meiner Mutter - Evelyne Thiel - sie ist die Flüchtlingshelferin der ersten Stunde hier in der Gemeinde Weilmünster. Sie selbst kann nicht so gut mit diesen Web-Formularen umgehen.
Warum Sie es verdient? Weil sie es verdient hat! Sie ist für jeden da - meist 24/7, auch Mitbürger ohne Migrationshintergrund haben mittlerweile ihre Nummer. Sie hilft, wo sie kann. Bei Anträgen für Ämter, Hausaufgabenhilfe und auch Nachhilfe. Sie gibt Deutschkurse, organisiert Nähkurse, Gitarrenkurse für Kinder, uns so vieles mehr. Sie ist unermüdlich. Und mit ihren 71 Jahren könnte sie sich eigentlich aufs Sofa setzen und die Füße hochlegen. Aber das wird nicht passieren. Nicht, solange ein Flüchtling oder Ratsuchender da ist und fragt.
Und das sind unsere bisherigen Gewinner: